
Sendung aus dem Gegen-Raum Mail Art, Plakate und Faltrollos alternativer DDR-Kunstszenen

Lutz Dammbeck, 5 Jahre Clara Mosch in Karl-Marx-Stadt Adelsberg, 1982, Siebdruck © VG Bild-Kunst, Bonn 2025, Foto: Alexander Janetzko
Manfred Butzmann, Lutz Dammbeck, Uwe Dressler, Holger Fickelscherer, Lutz Fleischer, Michael Freudenberg, Eberhard Göschel, Frieder Heinze, Frank Herrmann, Thomas Herrmann, Veit Hofmann, Joseph W. Huber, Klaus Killisch, Matthias Körner, Andreas Küchler, Dieter Ladewig, Helge Leiberg, Oskar Manigk, Michael Morgner, Jens Pfuhler, Robert Rehfeldt, Manfred Reuter, Hans Scheuerecker, Christine Schlegel, Jörg Sonntag, Strawalde, Olaf Wegewitz, Ruth Wolf-Rehfeldt, Rainer Zille u. a.
Über die Durchlässigkeit der offiziellen zu den inoffiziellen Kunst- und Kulturszenen der DDR hat sich innerhalb der Kunstwissenschaft mittlerweile mehr oder weniger ein Konsens entwickelt. Die „Szene“ im Singular wurde ad acta gelegt zugunsten der eingehenden Untersuchung künstlerischer Gruppen und Einzelfiguren in einem losen Geflecht, das sich im letzten Jahrzehnt der bestehenden DDR in Leipzig, Berlin, Dresden, Karl-Marx-Stadt und Halle wie auch in Erfurt, Jena und Cottbus gebildet hatte.
Janusköpfig waren in gewisser Weise ebenfalls die künstlerischen Kommunikations- und Austauschmedien jener Szenen, die im Zentrum dieser Ausstellung stehen werden: Veranstaltungs- und Ausstellungsplakate, die originär in hoher Auflage ein größtmögliches Publikum im städtischen Außenraum ansprechen sollten, wurden nun in originalgrafischer Ausführung in Kleinstauflage ohne Druckgenehmigung produziert. Teils im Eigendruck und
-auftrag avancierten sie zu Sammlerstücken, die in den Wohnungen Zugehörigkeit markierten und den Galerien – wie etwa durch die EIGEN+ART praktiziert – zu essentiellen Einnahmen verhalfen.
Seltenes Beispiel eines städteübergreifenden Zusammenschlusses jener subkulturellen Milieus wurde 1985 das Festival „Intermedia I: Klangbild / Farbklang“ in Coswig bei Dresden, bei dem bemalte Faltrollos die fulminanten Kulissen für Punk und Aktionskunst bildeten. Diese waren zuvor von den Veranstaltern an über 40 Künstler und Künstlerinnen mit der Bitte um Bearbeitung geschickt worden. Eine Fortführung dieser besonderen Form der Mail Art fand das Phänomen der „Rollo-Kunst“ in der Lausitz, wo diese erstmals 1986 und 1988 in den Räumen der Cottbuser Schloßkirche ausgestellt wurde.
Post-Netzwerke wurden jedoch nicht nur für den Versand von Rollos genutzt, sondern ab den 1970er Jahren von kreativen Mail-Artisten zu einer eigenständigen Kunstform ausgebaut. Dabei wurden Umschläge, Briefpapier, Postkarten, Briefmarken oder auch Stempel künstlerisch bearbeitet. Obwohl die Mail Art-Szene der DDR verhältnismäßig klein war, fällt ihr eine besonders wichtige Rolle als behaupteter, autonomer wie subversiver „Kunstraum“ zu. Im Rahmen der Ausstellung werden Werke exponierter Protagonist*innen dieser temporären „Gegen-Räume“ zum institutionalisierten Kunstbetrieb zu sehen sein, die als exemplarisch oder einzigartig für die künstlerischen Kommunikationsformen dieser Szene(n) in den 1980er Jahren gelten können.
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A consensus has now developed within art historians about the permeability of the official and unofficial art and culture scenes in the GDR. The „scene“ in the singular was put aside in favor of an in-depth study of artistic groups and individual figures in a loose network that had formed in the last decade of the GDR in Leipzig, Berlin, Dresden, Karl-Marx-Stadt and Halle as well as in Erfurt, Jena and Cottbus.
The artistic communication and exchange media of those scenes that will be the focus of this exhibition were also Janus-faced in a certain sense: event and exhibition posters, which were originally intended to appeal to the largest possible audience in the urban outdoor space in large numbers, were now produced in original graphic design in small editions without printing permission. Some of them were self-printed and commissioned by the artists themselves, and became collector’s items that marked a sense of belonging in people’s homes and helped the galleries – as practiced by EIGEN+ART, for example – to generate essential income.
A rare example of a cross-city merger of these subcultural milieus was the 1985 festival „Intermedia I: Klangbild / Farbklang“ in Coswig near Dresden, where painted roller blinds formed the brilliant backdrop for punk and action art. The organizers had previously sent these to over 40 artists with a request to work on them. The phenomenon of „roller blind art“ continued in Lusatia, where it was first exhibited in 1986 and 1988 in the rooms of the Cottbus Schloßkirche.
However, postal networks were not only used to send roller blinds; from the 1970s onwards, creative mail artists developed them into an independent art form. Envelopes, stationery, postcards, stamps and even rubber stamps were artistically processed. Although the mail art scene in the GDR was relatively small, it played a particularly important role as a claimed, autonomous and subversive „art space“. The exhibition will feature works by prominent protagonists of these temporary “counter-spaces” to the institutionalized art world, which can be considered exemplary or unique for the artistic forms of communication of this scene(s) in the 1980s.