
Ausdrucksformen der Linie Künstlerische Positionen von Micha Brendel, Christine Geiszler, Mona Höke und Jörg Sonntag
Für die in Cottbus ansässige Mona Höke (geb. 1971 in Guben) sind es oft lineare Strukturen, die wie scheinbar hingeworfene Abbreviaturen wirken. Sie erinnern an Schriftzeichen und bedecken darunter liegende Formen. Schrift- und Malgestus vermischen sich miteinander und lassen sich durchdringende mehrschichtige Gebilde entstehen, die teilweise durch eine intensive Farbigkeit gekennzeichnet sind. Auf der Bildfläche entfaltet sich so eine spannungsreicher Dialog zwischen Linien, Formen und Farben. Durch die skripturalen Kürzel scheint die Künstlerin eine Botschaft übermitteln zu wollen, deren Entschlüsselung Aufgabe des Betrachtenden ist.
In den neuesten Arbeiten von Micha Brendel (geb. 1959 in Weida) stellt Schrift ebenfalls einen festen Bezugspunkt dar. Die schriftlichen Zeugnisse verschiedenster Kulturen stellen für ihn eine unerschöpfliche Inspirationsquelle dar. Den Bildträger, zumeist Papiere im Format A4 bedeckt der Künstler mit den unterschiedlichsten Liniengefügen. Es entstehen im wahrsten Sinne des Wortes Schriftbilder. Vielfältig variiert Brendel dabei seine Materialien und Techniken, angefangen von selbst hergestellten Tinten bis hin zum Experimentieren mit der Schreibmaschine. Es sind wahrhafte Exerzitien der Hand, die an das meditative Schreiben in klösterlichen Schreibstuben des Mittelalters denken lassen.
Exerzitien der Hand stellen auch die Bleistiftzeichnungen von Christine Geiszler (geb. 1977 in Cottbus) dar. Die Cottbuser Künstlerin bedeckt teilweise großformatigen Papierbahnen mit zahllosen dünnen Bleistiftlinien. Durch Schraffuren und Überlagerungen entstehen abstrakte geometrische Strukturen, die eine strenge Bildarchitektur schaffen. Anders als Micha Brendel beschränkt sich Christine Geiszler auf zwei Materialien. Die weiße Papierbahn, deren Stärke und Oberflächenstruktur sie sorgfältig auswählt und einen Grafitstift, in der Regel der Stärke 8B. Es entstehen vibrierende Flächen in unterschiedlichsten Grautönen, die in ihrer Reduktion einen eigentümlichen Reiz ausstrahlen.
Formal streng wirken auch die Tuschezeichnungen des Dresdner Künstlers Jörg Sonntag (geb. 1955 in Lichtenstein/Sachsen). Dafür nutzt er hadernhaltiges Büttenpapier und chinesische Schriftpinsel und Tusche, mit denen er Linienstrukturen festhält. Grundlage für diese „GeoMorphDrawings“ bildet ein Computerprogramm, das durch Zufallsmodulation endlosvariable Bilder erzeugt, die dann als Zeichnung umgesetzt werden. Mit den klassischen Mitteln der asiatischen Kalligrafie entstehen so Zeichnungen, die an digitale Codes erinnern aber in ihrer seriellen Reihung die vielfältigen Möglichkeiten solcher digital gesteuerten Strategien visualisieren. Wesentlich verspielter sind die arbeskenhaften Lineamente, die der Künstler in der Serie „Goldige Zeiten“ auf die mit Goldbronze grundierten Blätter in Tusche zeichnet.
Die Ausstellung lädt dazu ein, die vielfältigen Möglichkeiten des Arbeitens mit der Linie zu erkunden. Das Auge gleitet an ihnen auf der Bildfläche entlang und kann so unbekannte Terrains erkunden, so wie es Paul Klee in einem Text 1919 als „Schöpferische Konfession“ formuliert hat: „Dem gleich einem weidenden Tier abtastenden Auge des Beschauers sind im Kunstwerk Wege eingerichtet. (…) Das bildnerische Werk entstand aus der Bewegung, ist selber festgelegte Bewegung und wird aufgenommen in der Bewegung.“